Thomas, 1920; Alberto Vargas/Reid Austin, Vargas, New York 1978

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The Kid 6/7


Olive Thomas – Chaplin lässt sich auf Parties

der Schickeria um Vogue und Vanity Fair

herumreichen. Aus dem illustren Zirkel ging die

reizende Olive Thomas hervor, mit der Klatschkolumnisten ihn zwischendurch ebenfalls

in Verbindung gebracht hatten. Clippings.



               Fritz Hirzel, Chaplins Schatten. Bericht einer

               Spurensicherung. Zürich 1982


Das New Yorker Leben zu geniessen, die Einladungen, die

Parties, die es für ihn bereit hielt, muss für Chaplin nun, nachdem

eine Belastung um die andere von ihm abgefallen war, ein

wahres Labsal gewesen sein.

      Am Ende der Anspannung, die The Kid, aber auch

seine Scheidung, der Konflikt mit der First National

für ihn bedeutet hatten, war es ihm plötzlich ein Bedürfnis, sich

dem unbeschwerten, gesellschaftlichen Treiben zu

überlassen, dem keine Grenzen gesetzt schienen. Chaplin,

der junge Millionär, war chic und salonfähig geworden.

      Er liess sich wie alles, was schön und teuer war, auf

Parties der Schickeria um Vogue und Vanity Fair herumreichen,

die der Verleger der exquisiten Modezeitschriften,

Condé Nast, mitten in Manhattan, in seiner grossen, luxuriösen

Dachwohnung an der Madison Avenue gab.

      Hier pflegte sich der lockere Klüngel der Hochfinanz mit der

auf Exklusivität bedachten Kunstelite zu treffen, umgeben

vom jugendlichen Reiz, vom Charme jener auserwählten, den

golden people zugehörigen, selbstverständlich

zum Kinoglamour drängenden. auch als Mannequins oder

Fotomodelle tätigen Schönheiten der Ziegfield Follies.

      Aus diesem illustren Zirkel war die reizende

Olive Thomas, geborene Olive Elaine Duffy, hervorgegangen,

mit der Klatschkolumnisten Chaplin zwischendurch

ebenfalls in Verbindung gebracht hatten.

      Nast soll dafür gesorgt haben, dass sie immer

wieder als Fotomodell für Vogue abgelichtet worden war,

und am Broadway, in der Parade der Showgirls,

hatte sie als die schönste Brünette gegolten, die Florenz

Ziegfield bis anhin mit Federn und Pailletten ins Licht

der Scheinwerfer gerückt hatte.

      Kein Zufall, wenn Ziegfield auch sie zu Alberto Vargas

geschickt hatte, der von ihm eben erst ans New Amsterdam

Theatre geholt worden war. ObenE, in einem Atelier im

fünften Stock, hatte der Peruaner den Auftrag bekommen, die Showgirls der Produktion für den Aushang im Foyer

in Aquarell festzuhalten.

      Ebensowenig, gewiss, war es ein Zufall gewesen,

wenn einige der Mädchen dem Maler darüber

hinaus für Aktzeichnungen Modell gestanden hatten, unter

ihnen offenbar auch Olive Thomas, die er halbnackt,

imgrunde selbstverliebt, mit entblössten Brüsten, eigentümlich

unberührbar zeigt, halb im Stil der Art Nouveau, halb

als Pin-Up-Girl bereits.

      Dann war sie nach Hollywood gekommen,

und erinnern wir uns: war sie nicht in Sam Goldwyns Strandhaus

in Santa Monica dabei gewesen, auf jener Party,

die Mildred Harris in Chaplins Limousine verlassen hatte?

      Inzwischen war sie zum Titelmädchen in The Follies Girls,

The Glorious Lady und The Flapper geworden, einer

Reihe leichter Komödien, die Myron Selznick unter dem Slogan gestartet hatte: „Selznick Pictures Create Happy Homes.“

      Erst kürzlich hatte Jack Pickford sie geheiratet,

Marys Bruder, dem wir bei der Schlägerei mit Louis B. Mayer

bereits begegnet sind, als Begleiter, der den am Boden

gelandeten Chaplin aus der Hotelhalle des Alexandria geführt

hatte.

      Immerhin sehen wir, dass Nast und Chaplin

sich einiges zu erzählen gehabt hätten, sollten sie nicht

taktvollerweise sich mit einem small talk begnügt

haben, denn Olive Thomas, das verheiratete Mädchen, war tot.

      Vor ein paar Monaten, im September 1920,

hatte sie, 22jährig, in einem Pariser Hotel Selbstmord

begangen, angeblich nach dem erfolglosen Versuch, für ihren

Gemahl, der auf der Leinwand, wie es hiess, den

american boy in geradezu idealer Weise verkörperte, eine

grössere Menge Heroin aufzutreiben.

      Nichts freilich wäre verkehrter, als Chaplin der

Spiegelwelt des fabelhaften, komfortablen Lebens zuzuordnen,

in dem alles seinen Design hatte. Mit dem selben Interesse,

mit dem er sich auf den Luxusetagen, bei den Leuten um Vogue

umsah, liess er sich im Greenwich Village mit Intellektuellen

auf nächtelange Diskussionen ein.



The Kid Clippings


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Chaplins Schatten

Bericht einer Spurensicherung









The Kid-Posters. Strand Theatre, N. Y.,

Photo Moving Picture World, April 18, 1925. Alberto Vargas, Memory of Olive