POSTERS, Moving Picture World, April 4, 1914
ACHTUNG! AUFNAHME! 9/14
The Star Boarder – Das ist treffsichere Komik.
Das ist erstaunliches Kino. Das Getändel
von Charlie mit der Pensionswirtin hält deren Bengel
mit der Kamera fest und präsentiert es den versammelten Gästen. Clippings
Fritz Hirzel, Chaplins Schatten.
Bericht einer Spurensicherung. Zürich 1982
Jede Woche kam nun ein neuer Chaplin heraus.
Die Filme wurden nach New York geschickt, dort liessen
Kessel und Baumann die Kopien ziehen, das
Werbematerial wurde bereitgestellt, vierzehn Tage nach
ihrer Fertigstellung liefen die Einakter im Kino.
Und nicht selten war es, dass die Filme und die Zwischenfälle,
von denen sie handelten, wie ineinander überliefen.
Eine Kette von Grobheiten, Flirts und Ordnungswidrigkeiten
begann sich heranzubilden. The Star Boarder,
Chaplins neunter Film bei Keystone, eine seiner Perlen,
setzte diese Kette fort.
Charlie, Gast in einer Pension, flirtet mit des Inhabers
Gattin, einer zarten Schönheit, wieder Minta Durfee.
Spaziergang, Geschäker am Waldrand, Liebelei. Taucht Edgar
Kennedy auf, der Pensionsbesitzer, der eifersüchtig
den beiden im Park, weitab vom Tennisplatz, nachspürt.
Einmal, am Waldrand, wirft er Charlie, als er ihn erwischt,
einfach um. Und dann, nicht mehr bloss der Hintergangene,
revanchiert er sich kurzentschlossen mit einem anderen Mädchen.
Wie um diese Familiengeschichte des Seitensprungs
abzurunden, tritt als Voyeur der Sohn hinzu, ein schadenfroher
Lümmel, der beide Paare mit dem Fotokasten aufnimmt.
Alles führt er den versammelten Gästen der Pension als
Lichtbildschau vor. Riesige Schlägerei zum Schluss,
als alles auskommt. Der Pensionsinhaber liefert sich mit Charlie
einen echten Fight, und Charlie, der körperlich Unterlegene,
sieht nicht gut aus dabei.
Er landet glatt im Tischtuch, der Tisch kippt um. Charlie,
soviel noch zum Charakter, ist nicht beliebt bei den
männlichen Gästen. Nebenbei säuft er auch, klaut Bier aus dem Kühlschrank, das er rasch versteckt, als die Hausherrin
aufkreuzt. Zwei Flaschen davon schleppt er auf sein Zimmer
mit hinauf.
Fritz Hirzel, Notizen, 2011
Chaplin hat in The Star Boarder alles, was ihn leuchten lässt.
Ein Frauenbetörer, ein Angeber, ein Säufer. Er hat soviel
Charme. Das ist treffsichere Komik. Das ist erstaunliches Kino.
Und es ist George Nichols, der Regie führt, und es ist
Craig Hutchinson, der das Scenario schreibt.
Und Nichols und Hutchinson haben zuvor bereits bei
A Film Johnnie, bei His Favourite Pastime und bei Cruel, Cruel
Love mitgewirkt. Vier Filme mit Chaplin bei Keystone.
Drei Bravourstücklein. Aber nichts, was folgt. Klitzeklein, dieses
Kapitel Filmgeschichte, klitzeklein und ungeschrieben.
Chaplin erinnert sich in My Autobiography eigentlich nur,
dass er mit seinen Vorschlägen bei Nichols andauernd
auf Ablehnung gestossen sei. „No time, no time.“ Das suggeriert
unter anderem, Chaplin habe bei Keystone Tempo aus
der Handlung herausnehmen wollen.
Das tut Chaplin in der Folge aber nicht. Nick Redfern
ist der Frage nachgegangen. Er hat die Länge der Einstellungen
in den von Nichols inszenierten Filmen mit jenen verglichen,
die Chaplin bei Keystone in den Monaten darauf selbst inszeniert.
Es gibt keinen Unterschied.
Sie lassen ihn chargieren. Aber wer hat Chaplin
geraten, das Kostüm aus Making a Living – ein halbes Dutzend
Filme liegt dazwischen, kein Vierteljahr ist das her –
wieder auszugraben? Hängt er an der Figur? Denkt er, sie war
bloss falsch eingesetzt? Wir werden es nie erfahren.
The Star Boarder Clippings