A Dog‘s Life Poster
UMZINGELT 2/3
A Dog‘s Life – Wenn nicht den Atem, so hat der Film
doch Züge eines Meisterwerks – auch dadurch,
dass A Dog‘s Life Typisches anhaftet für die legendäre,
gossenhafte Realität von Umgebung und Tramp,
den Chaplin hier ohne Stock auftreten lässt. Clippings
Fritz Hirzel, Chaplins Schatten.
Bericht einer Spurensicherung. Zürich 1982
The Champion, Essanay 1915. Der Film beginnt mit einerm erinnerungswürdigen Anfangsbild, mit Charlie und dem
Hund, einer Bulldogge, einem Bild, das bereits auf A Dog‘s Life
hinzuweisen scheint. Charlie ist bereit, Wurst und Brot
zu teilen, der Köter aber ist zu heikel und frisst den Zipfel erst,
nachdem Charlie ihn gewürzt hat.
A Dog‘s Life, First National 1918. Keine drei Monate
hatte Chaplin für seinen ersten Film zur Verfügung, dann musste
er an die patriotische Front, mit Mary Pickford und
Douglas Fairbanks nach Washington, wo sie gemeinsam
die Werbekampagne für die dritte Kriegsanleihe
eröffnen sollten.
Und tatsächlich, rechtzeitig im April, nach drei
Tagen und drei Nächten im Schneideraum, war dieser erste,
auf eigenem Gelände gedrehte Film, A Dog‘s Life,
ein Dreiakter, fertig.
Für Chaplin begann das Unternehmen also gar
nicht schlecht. In 18 Monaten wollte er den Vertrag mit First
National erfüllt, die vereinbarten acht Filme abgeliefert
haben. Noch konnte er nicht ahnen, dass er sich fünf Jahre
damit herumplagen würde.
A Dog‘s Life, ein Hundeleben also. Der erste Blick,
frühmorgens, fällt auf das Schild einer Pension, da steht Betten
oder Zimmer oder irgendetwas, und dann fällt der Blick
auf Charlie, der obdachlos in der Gosse liegt, im Dreck am
Boden hinter dem Bretterzaun eines unbebauten,
schmutzigen Grundstücks, ein Stadtstreicher, der noch
ein wenig zu schlafen versucht.
Toll geworden
Da es aber bitterkalt ist und ihm ein Rest von Erinnerung
an ein behaglicheres Dasein geblieben scheint, stopft er trotz
zugigster Lage rundum ein Loch, das sich im Brett
gleich hinter seinem Rücken befindet.
In der Nähe steht ein Abfalleimer, ein Hund schläft
gleich daneben, ein reinrassiger Bastard, der ebenfalls im
Freien nächtigt. Auf einmal kommt Leben in Charlie,
auf der anderen Seite der Umzäunung ist ein Strassenhändler
stehen geblieben, der einen Eimer heisser Würstchen
bei sich hat.
Durch eine Lücke in der Bretterwand greift Charlie
zu, nicht ohne sich auch mit Senf noch einzudecken, muss
freilich dieses Frühstück fallen lassen, als ein Polizist
ihn dabei ertappt.
Doch während dieser ihm auf den Leib rückt,
lässt Charlie sich unter dem Zaun durchrollen. Hin und her
geht das, so flink ist Charlie, dass er über den Polizisten
sich gar mockiert und dann, im Übermut, zuletzt fast einem
anderen in die Arme fällt.
Zu zweit
Später sehen wir ihn, wie er sich in einem Bewerbungsbüro
als erster um Arbeit anstellt, als erster auch von der
Bank der Wartenden gestossen wird, wie er erst zum einen,
dann zum anderen Schalter hin jagt, immer weiter,
immer schneller, stets um einen kleinen Schritt zu spät, wie ihm
zuletzt der Schalter vor der Nase zugeworfen wird.
Die Jobs sind alle schon vergeben!
Erneut steht er mit leeren Händen da, steht auf der Strasse,
auf der mit einem Mal auch Scarps, der Hund, zu
sehen ist, den Charlie aus einer toll gewordenen, raufenden
Meute anderer Köter rettet, die alle hinter dem einen
Fleischhappen herjagen, den Scraps zuerst entdeckt hat.
Die Strasse, durch welche ihre Fluchtjagd geht, sieht aus
wie ein Schlachtfeld. In letzter Not gelingt es Charlie gerade
noch, sich mit dem Hund aus dem Kampfesgetümmel
heraus zu flüchten. Auf einer Türschwelle setzen sie sich nieder,
fortan sind sie zu zweit.
Und da, als Scraps an den Inhalt einer Milchflasche, die
noch halbvoll ist, nicht herankommt, tunkt Charlie ihm hilfreich
den Schwanz hinein.
Gewürgt
Es folgt jene eindrückliche Szene an der Würstchenbude,
in der die beiden Brüder Chaplin sich erstmals in
einem Film gegenüber traten, bei einer Begegnung eigener
Art notabene.
Sidney hinter dem Ladentisch als Verkäufer,
davor mit dem Hund im Arm Charlie, der die Aufmerksamkeit
solange auf sich lenkt, bis sein Vierbeiner einen
Würstchenkranz an sich gerissen hat. Erst nun beginnt
Charlie, auf eigene Faust auch sich zu bedienen.
Jedes Mal, wenn Sidney ihm den Rücken zukehrt,
schnappt er sich einen der kleinen Kuchen, die vor seiner
Nase stehen, und würgt ihn herunter so rasch er nur
kann. Sobald der Budenbesitzer Verdacht schöpft und ihn
misstrauisch fixiert, hält er ein und schaut arglos
vor sich hin.
Das Tablett leert sich trotzdem zusehends. Und als der
Besitzer sich überfallartig umdreht, um ihn auf frischer
Tat zu erwischen, gibt Charlie mit der ausgestreckten Hand
vor, eine Fliege einfangen zu wollen.
Endlich, beim letzten Stück angelangt, entdeckt
er den Polizisten, der ihn durch das Hinterfenster
der Würstchenbude beobachtet, legt den Kuchen zurück und
duckt sich, sodass der Polizist an seiner Stelle den
Schlag auf den Kopf bekommt, zu dem Sydney mit grimmiger
Miene ausholt.
Verwickelt
Später, am Abend dann, sehen wir Charlie, der seinen
neuen Kumpan in die Tingeltangelkneipe mitnimmt, auch wenn
am Eingang ausdrücklich steht: Hunde kein Zutritt.
Da verstaut er ihn in seiner viel zu weiten Hose drin,
durch ein Loch schaut zwar der Schwanz noch heraus, mit dem
Scraps aus der Hose wedelt und, als Charlie sich beim
Orchester niedersetzt, unablässig an die Pauke eines Musikers
trommelt, der aus dem Staunen nicht herauskommt.
Eine debütierende Sängerin, Edna Purviance, wird
vorgestellt, und was sie singt, rührt die Betrunkenen im Saal zu
wahren Tränenflüssen, die sich in ihre Biergläser ergiessen.
Charlie aber, der nach dem sentimentalen Erguss
sich mit Edna, die ihm zugelächelt hat, übers Tanzparkett
bewegt, gerät in Bedrängnis, als er auf einen Kaugummi
tritt, sich davon freizumachen versucht, erst sich selbst, dann
andere zu Fall bringt, endlich einer fetten Lady und ihrem
kleinwüchsigen Partner ins Gehege kommt, zu schweigen vom
Hund, der an einer Schnur mit dem Paar übers Tanzparkett
trottet und alles noch mehr verwickelt.
Zahlungsfähig
Endlich nimmt Charlie mit Edna an einem der Tische Platz,
auf dem ein paar halbleere Gläser stehen geblieben sind, weist
unschuldig auf eins dieser Gläser hin, als der Kellner die Bestellung aufnehmen will, und wird zuletzt mangels Zahlungsfähigkeit
dann doch vor die Tür gesetzt, wobei der Besitzer ihn hinauswirft
auf die Strasse, den Hund ihm hinterher.
Das nun beginnende Hin und her ging von einer gestohlenen
Brieftasche aus, die Chaplin in die Handlung einführte.
In einer Strasse tauchen nachts zwei Ganoven auf, die einen betrunkenen, im Frack heimwärts torkelnden, älteren
Herrn berauben.
Die mit Banknoten gespickte Brieftasche vergraben sie auf
dem unbebauten Grundstück, das Charlie und der
Hund als Schlafstelle benutzen, dann gehen sie grossspurig ins Tingeltangellokal, um einen zu heben.
Der dickbäuchige Ganove macht sich an Edna, die Sängerin,
heran, die es mit dem Besitzer des Tingeltangels zu tun
bekommt, weil sie den Gast abweist. Ohne eine Gage wird
sie entlassen!
Diesmal mit Edna
Unterdessen hat der Hund die Brieftasche ausgegraben,
mit ihr nun kehrt Charlie auftrumpfend in die Kneipe
zurück, findet die an einem Tisch zusammengesunkene Edna,
der er das Blaue vom Himmel verspricht.
Da packen die beiden Ganoven, kaum haben sie in seinen
Händen die Brieftasche entdeckt, entschlossen zu. Und
schon liegt Charlie, diesmal mit Edna, wieder auf der Strasse
draussen.
Nochmals rafft er sich auf, kriecht hinter der Bar durch,
um sich hinauf in die Loge zu schleichen, in welcher die beiden
Ganoven ihren Fang begiessen.
Was Chaplin nun folgen liess, war eine Kasperliade, mit
der er offenbar tief aus der Tradition der Pantomime, wenn nicht
der Commedia dell‘arte schöpfte, eine Einlage, gewiss weit
verblüffender noch als jene bei der Stellenbewerbung, eine klassisch anmutende Nummer, dieses so oft noch abzuwandelnde
Verwirrspiel, sei‘s in The Freshman von Harold Lloyd, sei‘s bei
Laurel und Hardy in The Chump of Oxford.
Hinter dem Vorhang versteckt holt Charlie einen Schläger
hervor, mit dem er dem Ganoven, der ihm den Rücken
zukehrt, dieser Gestalt mit Seehundeschnauz, eins überzieht.
Und drauf greift Charlie, der sich unsichtbar in seiner
Deckung hält, dem Willenlosen wie einer Puppe unter die Arme,
indem er ihm seine beredten Hände, seine Finger leiht, mit
welchen er dem dickbäuchigen Zechkumpanen, dem
er vorschlägt, die Beute zu teilen, bedeutet, sich still zu halten.
Umwerfend, wie er diesen Kerl, seinen Vordermann,
benutzt, das Glas hebt und die Hand ausstreckt, und wie er ihm,
als dieser zu sich kommt, nochmals eins überzieht!
Weit kommt er nicht
Nun aber, nachdem das Geld geteilt ist, winkt er dem
Dickbauch am Tisch, sich herüberzuneigen, um ihm mit der
Flasche auf den Kopf zu schlagen. Voilâ, das Spiel
ist aus. Charlie tritt aus dem Vorhang in die Loge, holt sich den
Rest des Geldes und haut ab.
Weit kommt er nicht. Des Diebstahls bezichtigt bleibt
er zwischen den Beinen des Barmanns hängen, durch
die hindurch er sich wegzustehlen sucht. Auch die beiden
Ganoven erwachen, alle jagen sie hinter der Brieftasche
her, zuletzt schnappt Charlie sie, entwischt und sucht in Sydneys
Würstchenbude Zuflucht.
Die Ganoven eröffnen das Feuer, und als Charlie
zur Sichtung der Lage einen Teller hochhält, durchlöchern sie
diesen wie ein Sieb. Alles schiessen sie über den Haufen.
Teller, Gläser. Sie packen auch Charlie, ehe die Polizei
sie verhaftet und ein verstörter Sydney mit geschwärzten Augen
in der zertrümmerten Würstchenbude zurückbleibt,
während Scraps, der Hund, die zu Boden gefallene Brieftasche
mit dem Vermögen davonträgt, einer besseren Zukunft
mit Charlie und Edna entgegen.
In einem Epilog sehen wir Charlie, der inmitten
einer langgezogenen Furche seines Ackerlandes die Setzlinge
einzeln in die Erde steckt, in operettenhaftem Farmerhemd
und Hut, erneut also ein Happy End in dieser lächelnd
dargebotenen, stets ein bisschen papierhaft wirkenden Vorstellung
vom bürgerlichen Glück, die sogleich zur Karikatur gerät
und wohl auch darauf angelegt ist.
Umarmt
Charlie umarmt Edna, am Kamin stehen se, der Tisch ist
gedeckt. Sie beugen sich über die Wiege, lächeln und
schmunzeln, bis auch der Letzte merkt, dass sie Nachwuchs
bekommen haben, doch drinnen, in der Wiege, liegt der
Hund, der Junge hat.
Eines nimmt Charlie hoch, es ist kaum mehr als handgross,
er streichelt es und zeigt es Edna.
Ungewiss, ob Chaplin 1918, ehe er im Zug unterwegs
nach Washington in Schlaf sank, sich bewusst war,
dass er mit A Dog‘s Life einen seiner bisher wichtigsten Filme
gedreht hatte, einen Film genau im Angelpunkt zwischen
den Zweiaktern und seinen Spielfilmen, von denen er manches
vorwegnimmt.
Später allerdings hob Chaplin hervor, er hätte mit
A Dog‘s Life angefangen, über die Komödie in strukturellem Sinn
nachzudenken, sei sich ihrer architektonischen Form bewusst
geworden, des Umstands auch, dass eine Sequenz sich
auf die andere zu beziehen habe, jede einzelne wieder sich aufs
Ganze – Dinge, die sich in der Handlungsführung, etwa
bei den Parallelen im Leben zwischen Charlie und dem Hund,
am augenfälligsten niederschlugen.
A Dog‘s Life hatte, da konnten die Biographen kaum fehlgehen,
wenn nicht den Atem, so doch Züge eines Meisterwerks:
gerade auch dadurch, dass sehr viel Typisches dem Film anhaftete,
Typisches für die legendäre, gossenhafte Realität von
Umgebung und Tramp, den Chaplin übrigens ohne Stock hatte
auftreten lassen.
A Dog‘s Life Clippings