My Life in Pictures, London 1974 – The Kid Clippings

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THE KID 1/7


Chinatown – Trotz des Gemäkels bei der

Visionierung durch die Vorstandsmitglieder

sollte The Kid alles übertreffen, was die

First National an Einnahmen bisher aus einem

Film gesehen hat. Clippings.



               Fritz Hirzel, Chaplins Schatten. Bericht einer

               Spurensicherung. Zürich 1982


Es war ein über Monate sich erstreckendes Unternehmen,

dem recht eigentlich das Jahr 1920 gehörte. Sechs Akte, 1700 m

lang sollte dieser neue Film werden, der im Chaplinstudio

gedreht wurde, aber auch bei Aussenaufnahmen entlang der

schäbigeren Meile von Chinatown, wo sich der Red

Light District, der Prostituiertenbezirk von Los Angeles, befand.

      Ein reizvolles Dokument ist jene Foto, die draussen,

bei der Dreharbeit on location, entstanden ist: im Hintergrund

bunte Amüsierviertelwelt, sonnig, kalifornisch warm, mit

Reklameschriften versehen, die auf Bar, Pocket Billiards und

Hotel Rose hinweisen, die Häuser, nicht mehr als ein,

zwei Stockwerke hoch, Flachdachbauten, der Spielsalon mit

Laubenbögen, eine Holzfassade, alles ein bisschen

jahrmarktspagodenhaft.

      Davor quer übers Trottoir aufgereiht ein dichtes

Menschenspalier bis auf die Strasse hinaus, darunter Kinder,

hinter ihnen Erwachsene, mit hellen Sommerhüten viele.

      Im freigehaltenen Winkel auf dem Stativ die Kamera und

innerhalb der Kette der Schaulustigen neben zwei, drei

Knirpsen Komparserie auffallend mit Spazierstock, Melone und Schnauz, mit zugeknöpftem, engem Kittel, mit schwerer,

überhängender Hose und auswärts gespreizten Latschen Charlie.


Museum der Imagination

Der Tramp, der im Kontrast zur ihn umgebenden,

physischen Realität aussieht wie eine befremdliche, dem

Museum der Imagination entsprungene Kunstfigur.

      Chaplins Underdog als Fantasieprodukt, als folkloristische

Pin-Up-Gestalt, die zum Stadtstreicher im authentischen

Hurenviertel von Los Angeles schlecht taugte. Auf der Foto,

gewiss, sieht das exotisch aus.

      Doch wirkt es keineswegs mehr fremd, wenn wir

die Figur vor den passenden Hintergrund rücken, sie uns

ein paar Schritte weiter vor einem verschmutzten,

alten Gemäuer vorstellen, das der von Zufall und Armut geprägten Gegenwelt des chaplinesken Londons näherkommt.

      Vermutlich liegts am fernöstlichen Kolorit jener Häuserzeile,

wenn uns bei dieser Foto die Londoner Chinatown einfällt,

die Thomas Burke in Limehouse Nights beschrieben hat, dem

Schauplatz seiner Stories, der eben erst in Broken Blossoms

fürs Kino zum Inbegriff eines Armenviertels stilisiert worden war.


Mansardenbehausung

Wir wissen, dass Chaplin sich The Birth of a Nation von

Griffith beinahe wöchentlich angesehen hatte, solange der Film

in Los Angeles gelaufen war. Dass er Broken Blossoms

gesehen hat, ist eigentlich anzunehmen.

      Der Griffithfilm wurde überraschend von der United Artists

verliehen, nachdem Zukor ihn nicht haben wollte.

      Die Gegenwelt des Armenviertels: war es nicht das, was

Chaplin seit langem auf die Leinwand bringen wollte?

      War der Innenraum zu The Kid, die Mansardenbehausung,

für ihn nicht das Konzentrat aller menschlichen Niederungen,

die er in Lambeth, in Kennington kennengelernt hatte?

      The Kid geriet ihm, das war seit Life ein drängendes, unerfülltes

Projekt geblieben, zur Beschwörung autobiographischer

Erinnerungsbilder, zur Momentaufnahme der Kindheit, die er

pathetisch verklärte.



The Kid Clippings


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www.fritzhirzel.com


Chaplins Schatten

Bericht einer Spurensicherung









Chaplin (on the right side) working at

The Kid on location in Chinatown,

Los Angeles; Photo in Charles Chaplin,