CHARLIE CHAPLIN In ONE A. M. Poster

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One A. M. – Ungewöhnlich genug, eine

Einmannshow. Chaplins Film gegen das eigene

Image ist ein Experiment, das für sich

allein steht, quer zum erfolgreichen Repertoire

seiner Mittel. Clippings.



               Fritz Hirzel, Chaplins Schatten,

               Bericht einer Spurensicherung, Zürich 1982


One A. M. war ein virtuoses Solo in jeder Beziehung. In diesem

Zweiakter trat Chaplin ganz allein auf, ohne Gegenspieler,

ohne Nebendarsteller, sehen wir einmal davon ab, dass Albert

Austin am Anfang als Taxifahrer in starrer Haltung kurz ins

Bild gerät. One A. M. war, ungewöhnlich genug, eine Einmannshow.

      In Zylinderhut, schwarzem Cape und Abendanzug kommt

Charlie nach einem nächtlichen Bummel in der Stadt frühmorgens

nach Hause, ein Heimkehrer, welcher derart betrunken ist,

dass er Mühe hat, aus dem Taxi überhaupt herauszukommen,

oder auch nur das Geld zu finden, um den Chauffeur

zu bezahlen.

      Und doch ist er weit davon entfernt, ein grölender

Betrunkener zu sein; was er auch anfängt, es geschieht in

grösstem Ernst. Vor der Haustür ist es der Schlüssel,

den er nicht finden kann; also steigt er mühsam durch ein

Fenster im Parterre ein, nicht ohne bei diesem Manöver

mit dem Fuss direkt ins Goldfischglas zu treten.

      Nach seinem Einstieg ins Haus findet er auch prompt den

Schlüssel wieder. Einer zwingenden Logik folgend steigt

er durchs Fenster sorgfältig zurück, nicht ohne seinen Fuss

nochmals im Goldfischglas abzustellen; draussen gelingt

es ihm endlich, die Türe aufzuschliessen und ins Haus zu treten.


Vertracktheit

Im Grunde ist er nur unterwegs ins Bett, doch immer neue

Hindernisse stellen sich diesem Ziel entgegen. Da liegt auf dem

Parkettboden dieses Teppichfell eines ausgestopften Tigers,

der sich am Fuss bei ihm festbeisst.

      Bald scheint sich alles gegen ihn, der in seinem Zustand

ohnehin lauter feindliche Fratzen wahrnimmt, verschworen

zu haben. Als er sich umdreht, liegt gleich neben ihm ein Luchs

am Boden.

      Es sind diese Accessoires einer bürgerlichen Wohnhauswelt

in ihrer trüben, imperialistischen Exotik, diese Raubtierfelle

und Jagdtrophäen, die alles in ein bizarres Universum verwandeln,

das sich seiner Kontrolle entzieht.  

      Nicht besser ergeht es ihm mit der Likörkaraffe, die sich

mit ihm und der Tischplatte im Rundlauf dreht, sobald er nur nach

ihr zu greifen sucht. Hier, in der Vertracktheit dieser Objektwelt,

in der alles plötzlich seine Tücken hat, findet er seine

Widersacher.

      Zwar verrichtet er, obwohl er zu viel getrunken hat, noch

die eingeübten Handlungen, nur ihren Sinn versteht er längst

nicht mehr. Endlich, als es ihm wenigstens gelingt, eine

Cigarette anzuzünden, ist es diese Cigarette, die er gleich darauf

statt des Streichholzes wegschmeisst.


Rauschwandelnder

Alles wird ihm ungeheuer schwierig, vor allem der letzte Gang,

die Treppe hinauf. Immer wieder setzt er von neuem an,

um gleich darauf heruntergepurzelt zu kommen, versucht es in

jeder Art, breitbeinig, vorsichtig, versucht es mit Gewalt

und schafft es endlich in einem letzten, geradezu spielend alles

überwindenden Anlauf.

      Oben, nachdem er einem ausschlagenden Uhrpendel

entgangen ist, bekommt er es mit der Widerspenstigkeit eines

Wandbettes zu tun, das mitsamt ihm bald an

die Wand zurückklappt, bald unter ihm am Boden

zusammensackt.

      Für diesen Rauschwandelnden, um den herum die

Dinge auf ihrem Eigenleben beharren, ist hier kein Gleichgewicht

zu finden. In der Badewanne endlich schläft er ein und

findet Ruhe, nachdem er auch noch unter die kalte Dusche

geraten ist.


Gegen das eigene Image

Was Chaplin mit One A. M. drehen wollte, war offensichtlich

ein Film gegen das eigene Image, ein Experiment, das

für sich allein stehen sollte, quer zum erfolgreichen Repertoire

seiner Mittel. Und doch war One A. M. ein Film

nicht gänzlich ohne Muster, ohne Vorbilder, ohne Folgen.

      Allenfalls mochte diese Mutualkomödie im Erscheinungsbild

ihres Antihelden an den vornehm gekleideten

Theaterbesucher aus A Night in the Show erinnern, dessen

nächtliche Eskapade hier ihre Fortsetzung fand, ihren

Schluss zugleich.

      Und was die Eleganz seines Erscheinungsbildes anging,

so konnte sie als Hommage an Max Linder gesehen

werden, ebenso wie im Widerstand der Objekte, auf die sich

Chaplin mit ganzem Ernst einliess, die Vorwegnahme

einer surrealen Dingwelt zu erkennen war, die freilich nicht er,

sondern Buster Keaton sich aneignen sollte.



One A. M. Clippings


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www.fritzhirzel.com


Chaplins Schatten

Bericht einer Spurensicherung









One A. M. Scene, NFA

One A. M. Clippings