Adam Kessel & Charles O. Baumann, Exhibitors Times, July 5, 1913.
Keystone Co., Longacre Building, NYC, Brown Bros. Postcard
OFFENBARUNG!
CHAPLIN AT KEYSTONE
„Wie er einem Bahngeleise entlang Richtung
Kamera herunterkommt mit dem Gang,
der inzwischen weltbekannt ist, mit derselben Art Schuhe, Schnurrbart, Hut usw.“ So ist
Chaplin zu sehen in der Testaufnahme, die er für Keystone gemacht hat, bevor er seinen
ersten Filmvertrag unterschreibt.
Fritz Hirzel, Wie der Tramp entstand,
Filmhaus Nürnberg, 8. Dezember 2013, Flyer
„Eine vor vierzehn Jahren im alten Keystone Studio
entstandene Testaufnahme zeigt den später
weltberühmt gewordenen Comedian, Charles Chaplin,
wie er einem Bahngeleise entlang Richtung
Kamera herunterkommt mit dem Gang, der inzwischen
weltbekannt ist, mit derselben Art Schuhe,
Schnurrbart, Hut usw.
PS: Er hat den Job bekommen.“
Motion Picture News, January 28, 1927.
Der Filmkritiker (und Photograph) Paul Thompson
beschreibt einen Kompilationsfilm, der gerade
im Hippodrome, New York und in B. F. Keith‘s Orpheum,
Brooklyn gezeigt wird – Ye Movies in Ye Olden Days,
realisiert von J. A. LeRoy.
Das ist weit entfernt von dem, wie Chaplin selbst
die Entstehung des Tramps beschreibt – ein Fall von Amnesia?
Wie auch immer: Chaplin selbst gibt zwei Versionen
davon, wie er auf das Kostüm des Tramps verfallen oder eben
erst gekommen ist.
In der ersten entsteht es spontan aus Schuhen, Hut und Kleidungsstücken von Kollegen, die er in der Garderobe
bei Keystone zufällig vorfindet, also aus dem Augenblick heraus –
In der zweiten entsteht es beim Nachdenken in langer,
durchwachter Nacht, bewusst und mit Absicht.
Aber was ist, wenn die Figur des Tramps bereits
existiert, bevor er sie in Los Angeles bei Mack Sennett in die
Keystone Comedies eingebracht hat? Wenn sie bereits
in einer Testaufnahme zu sehen ist, die er gemacht hat? Und
davor auf der Bühne womöglich schon, in einem
Sketch von Fred Karno, als er in den USA auf Tournee ist?
Chaplins Schatten. Der Tramp. Am 7. Februar 1914
kommt er das erste Mal in die Kinos. Kid Auto Races at Venice,
Cal. heisst der Film. Es ist alles schon da, von der
ersten Sekunde an. Ein kompletter Darsteller tritt vor die Kamera.
Unterschrieben hat Chaplin seinen Vertrag bei der Muttergesellschaft der Keystone Company, und die befindet sich
in dem zwölfgeschossigen Longacre Building, East Side
of Broadway North from 42nd Street, New York City, zu sehen
auf der undatierten farbigen Postkarte oben rechts,
Chaplin at Keystone. Das ist eine Offenbarung. Kaum
je hat die Nachwelt diese Filme bisher vor dem
Hintergrund der Theaterauftritte betrachtet, die Chaplin in den
USA zuvor bereits populär gemacht haben. Vor
allem vom Betrunkenen, seiner Paraderolle, und deren Gusto
sind in den Filmen mannigfach Spuren zu erkennen.
Der angewidert aus seiner Wäsche stierende Betrunkene
ist im Kino erst recht für Lachwellen gut.
Diese frühen Filme erscheinen ihrer sozialen Härte
wegen heute besonders aktuell und bedürfen erst recht der Wiederentdeckung.
Seine Aktualität hat Chaplin, was nicht zu erwarten
gewesen war, ausgerechnet in den verpönten Slapstick Comedies
seiner Frühzeit mit ihrem vulgären, anarchischen, brutalen
Umgang, der ein sarkastischer Kommentar zu Schranken und Gepflogenheiten einer zerrissenen Gesellschaft ist.
Aber was vor hundert Jahren gedrehte Slapstick Comedies
mit unserer Welt der Casting und Reality Shows zu tun?
Einiges. Die Themen – Alkohol, Sex, Geld, Aufmerksamkeit, Beziehungstroubles, Untreue, Eifersucht – sind
die gleichen wie heute. Sauftour mit Fatty? Hier lang.
Wie der Tramp in Branchenblättern und Tageszeitungen
ankommt? Wählen Sie unter Movies einen Filmtitel
von Keystone und klicken durch Zeitungsausschnitte zu dem
1914 von Chaplin gedrehten Film!